Reisebericht: von Cuxhaven nach Pornichet

Etappe 1: Cuxhaven – Scheveningen, ca. 220 nm, ca. 38 h

Freitag, der 14. April 2023

Wir starten morgens gegen 10:00 Uhr in Cuxhaven mit dem Kentern des Gezeitenstroms Richtung Westen, mit dem Ziel bis nach Scheveningen nonstop durchzusegeln. Zunächst unter Maschine, denn bis zum frühen Nachmittag herrscht weitgehend Flaute. Aufgrund des mitlaufenden Gezeitenstroms kommen wir in den ersten Stunden trotzdem recht gut voran und am Nachmittag kommt dann in Höhe der Weser Reede ein nördlicher Wind auf, der zum Abend hin zu nimmt und uns mit 4 bis 5 Beaufort gut durch die Nacht schiebt. Wir können bei einem Windeinfallswinkel von 120 – 180 Grad die Fock ausbaumen und machen mit Anbruch der Dämmerung ein Reff ins Groß. Fahrt durchs Wasser ist ab dem frühen Abend immer so um die 7 Knoten. Video:

Der Hydrogenerator hat erst für ca. 2 h superleise vor sich hingeschnurrt und im Schnitt so um die 5 – 6 A eingespeist. Als die Geschwindigkeit dann aber immer wieder auf mehr als 7 kn geht und der Generator zeitweise über 12 A liefert, kommt es immer wieder zu Zwangsabschaltungen durch den Controller. Das ist ein bißchen ärgerlich, schließlich liegen noch mehr als 24 h Segeln vor uns bei maximalem Stromverbrauch (6 – 8 A) durch Kühlschrank, Autopiloten, Radar, Bordcomputer und Bildschirme. Im engen Austausch mit dem Hersteller justieren wir hier nach.

Wir fangen erstmal mit einem lockeren Wachrhythmus von 2 h an, bei Bedarf auch kürzer. Am späten Abend haben wir Borkum passiert und setzen die niederländische Gastflagge.  

Samstag, den 15.04.2023

Die Nacht hindurch ist es ein traumhaftes Segeln mit 5 Beaufort von achtern. Pauli hat darauf bestanden, in der Nacht 4 h lang durchgängig schlafen zu können und so haben wir uns darauf verständigt, dass er von 00:00 – 04:00 Uhr und ich von 12:00 – 16:00 Uhr die längere Freiwache haben soll. Also habe ich in der Nacht eine etwas längere Wache. Über mir ein fantastischer Sternenhimmel und am Horizont immer neue Leuchtfeuer, die ich zum Zeitvertreib alle identifiziere und eintrage. Gegen 2 Uhr in der Nacht beginnt dann ein intensives Meeresleuchten, das uns bis zum Beginn der ersten Dämmerung begleitet.   

In der Morgendämmerung bekommen wir einen Katamaran in Sicht, der auf Parallelkurs ist und bis zum Abend in Sichtweite bleibt, mal vor, mal hinter uns. Im Laufe des Tages legt der Wind noch etwas zu, so dass wir teilweise bei 6 – 7 Beaufort raum oder von achtern unterwegs sind. Immer wieder haben wir Surfs im 2 -stelligen Bereich, in der Spitze sogar einmal kurzzeitig 14 kn am Log. Gegen Mittag sind wir auf der Höhe von Den Helder. Die grobe Welle macht Pauli etwas zu schaffen und die Ruderwelle beginnt bei jeder Bewegung des Ruders zu quietschen. Wir müssen auf diesem Abschnitt mehrmals beide Segel schiften, was bei bis zu 7 Beaufort schon eine ziemliche Aktion ist.

Alles in Allem kommen wir wunderbar voran und am Abend zeichnet sich die Silhouette von Den Haag und Scheveningen voraus am Horizont ab. Gegen 23:00 Uhr laufen wir dann bei ziemlich grober See in die Hafeneinfahrt von Scheveningen ein, nicht ohne uns vorher per Funk ordnungsgemäß anzumelden. Der Hafen ist in mehrere Becken untergliedert und die Durchfahrten teilweise ziemlich eng. Vor allem bei viel Wind könnte eine Begegnung mit einem großen Schiff hier unangenehm werden.

Zu unserem Erstaunen ist der Yachthafen und insbesondere auch die für Gäste vorgesehene Brücke komplett voll und es liegen bereits Schiffe im Päckchen, was wir dann ebenfalls machen. An der Ostsee ist es nicht die Regel, aber die großen Marinas im Westen und im Süden sind immer nach außen verschlossen und man kann sie nur betreten, wenn man den Zahlencode für die Türen kennt. Das Gleiche gilt für Duschen und Toiletten. Glücklicherweise können wir dann per APP den Liegeplatz buchen und so auch den Zahlencode bekommen.  

Etappe 2: Scheveningen – Dunkerque, ca. 100 nm, ca. 18 h

Sonntag, den 16.04.2023

Startzeitpunkt war auf 10:00 Uhr angesetzt in der Annahme, dass wir bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 6 kn um 03:00 Uhr morgens Dunkerque passiert haben und auf dem Wege nach Calais sind, um die engste Stelle des Ärmelkanals ab ca. 05:00 mit mitlaufendem Gezeitenstrom passieren zu können mit dem Ziel Boulogne.

Leider lässt der Wind im Laufe des Tages immer weiter nach, so dass wir zwar noch lange eine unangenehme Dünung stehen haben, aber bereits am frühen Nachmittag die Maschine mitlaufen lassen müssen, um noch halbwegs voran zu kommen. Gegen Abend sind wir in Höhe der Westerschelde und ich erinnere mich an meinen ersten Törn auf der Nordsee genau hier Anfang der 70er Jahre (des vorigen Jahrhunderts ;-)) von Veere nach Zeebrugge. Der Wind ist eingeschlafen und mit einer Durchschnitts­geschwindigkeit von ca. 5 kn werden wir so langsam, dass wir unseren Zeitplan für die Passage durch den Ärmelkanal nicht werden halten können.

Die Gewässer vor der belgischen Küste sind von einigen Untiefen gekennzeichnet, die man sorgfältig ausnavigieren muss, da man aufgrund des nahen Verkehrstrennungs­gebietes nur wenig Raum hat. Außerdem herrscht einiger Verkehr. Der periodische Abstich in einem großen Stahlwerk südlich von Dunkerque schickt immer wieder seine helle Flamme hinauf in den Nachthimmel wie ein rätselhaftes, fremdartiges Leuchtfeuer. Gegen 04:00 Uhr entschließen wir uns, Dunkerque anzulaufen um ein paar Stunden Schlaf zu nehmen. Am Gästesteg der örtlichen Marina finden wir problemlos einen Platz.  

Etappe 3: Dunkerque – Boulogne, 35 nm, ca. 5 h

Montag, den 17.04.2023

Ein paar Stunden Schlaf haben Wunder gewirkt und wir können uns gut erholt wieder auf die Reise machen. Der Wind ist mit NE 3-4 günstig angesagt. Nachdem wir die Liegegebühr entrichtet und noch schnell Diesel gebunkert haben, geht es gegen Mittag wieder hinaus auf die Nordsee. Wunderbares Segeln mit ausgebaumter Fock. Wir begegnen einigen sehr wenigen Yachten und sehr vielen Fähren auf diesem nur knapp 35 nm langen Törn. Gegen Abend laufen wir bei schönstem Sonnenschein in Boulogne ein. Der Hafen ist tidenunabhängig anzulaufen und hat eindeutig bessere Zeiten gesehen. Neben einigen überwiegend leerstehenden Industriehafenbecken findet sich am Hauptkanal der ehemals große Fischereihafen, welcher zur Zeit gerade komplett abgerissen und zurückgebaut wird. Insgesamt sehen wir 3 – 4 Fischerboote, ansonsten ist der Hafen weitgehend leer. Ganz am hintersten Ende kurz vor dem Schleusentor befindet sich eine kleine Marina mit Gästeplätzen, wo wir erstaunliche 50 € für die Nacht berappen dürfen. Hier ist es trotz Niedrigwasser ausreichend tief. Der Tidenhub ist mit mehr als 8 m schon beeindruckend.  

Paul ist inzwischen entschlossen zurückzufahren und hat sich schon per Trainline die nötigen Tickets gebucht. Seine Rückfahrt per Bahn über Paris und Karlsruhe wird über 20 h dauern. Ich bin froh, dass er zum Abschluss noch mal einen angenehmen Teilabschnitt erleben konnte und so den Törn hoffentlich in guter Erinnerung behalten wird.

Nach einigen Tagen und Nächten mit sehr wenig Schlaf besteht jetzt Aussicht mal wieder durchzuschlafen. Ich studiere den Wetterbericht und die mögliche Route für morgen. Der Wind ist nördlich angesagt mit Spitzen von 28 – 30 Knoten um die Mittagszeit. Soll ich wirklich allein den Sprung wagen nach Cherbourg mit einer Distanz von fast 140 Meilen? Oder besser erstmal nur 100 Meilen nach Le Havre und dann weitersehen? Ich beschließe, die Entscheidung auf den folgenden Morgen zu verschieben und früh um 6 Uhr aufzustehen, so dass beide Varianten funktionieren können.  

Wir beschließen den Abend mit einem Bier und guten Gesprächen.

Etappe 4: Boulogne – Le Havre, ca. 100 nm, ca. 15 h 

Dienstag, den 18.04.2023

Noch vor dem Frühstück zeigte der Blick auf die Wettervorhersage, dass es auf der Baie de la Seine bei dem zwischenzeitlichen Starkwind bleiben wird und ich beschließe, heute nur den Trip nach Le Havre zu machen. Für die erste Strecke allein in diesem neuen und herausfordernden Revier ist mir das erstmal genug und ich fühle mich gut mit der Entscheidung.

Nach einem guten Frühstück packt Paul seine Sachen und es zeigt sich, dass noch 2 Kisten mit diversen Proteinriegeln, Tütennahrung, Süßigkeiten und Getränken übrig sind, die er sich mitgebracht hatte. Während das alles notgedrungen auf dem Schiff bleibt, stieg er um halb 9 Uhr mit 2 Rucksäcken vollgepackt von Bord und macht sich auf zum Bahnhof.

Es ist schade, dass er schon von Bord geht, aber ich verstehe und respektiere seine Intentionen. Und ich bin sehr froh, dass er mich die ersten Tage begleitet hat. Es ist so viel leichter, wenn man schwerwiegende Entscheidungen mit einem sachkundigen Begleiter diskutieren kann oder einfach nur nicht alleine ist, wenn es mal härter wird. Auf der anderen Seite geht für mich fast nichts über das Erlebnis mutterseelenallein auf dem Meer zu sein und im Einklang mit den Elementen um Vorwärtskommen und heiles Ankommen zu kämpfen. Dieses starke Gefühl – gleichzeitig absolut ausgeliefert und vollkommen aufgehoben zu sein – fühlt sich immer wieder wie eine Offenbarung an.

Ich lege ab, setze im Vorhafen das doppelt gereffte Groß und passiere bei strahlendem Sonnenschein und moderatem Nordwind die Hafenausfahrt kurz nach 9 Uhr. Draußen nimmt der Wind schnell zu und es geht mit ausgebaumten Segeln und zunächst mitlaufendem Gezeitenstrom zügig Richtung Süden. Schnell baut sich eine 2 – 3 m hohe Welle auf und beim Hinuntersurfen geht das Log hin und wieder mal über 12 kn. Hier ein kurzes Video:

Leider quietscht das Ruder wieder wie Teufel und ich mache mir zunehmend Sorgen, dass das untere Ruderlager sich im Koker gelöst haben und auf der Welle mitdrehen könnte, mit erheblichen Folgen für den Koker und letztlich die Sicherheit des Schiffes. Da der Wind mal westlich, mal östlich von Nord kommt, muss ich wiederholt die Segel schifften, was bei diesem Wind einen ziemlichen Angang bedeutet. Ich drehe jedesmal die Fock komplett rein und muss dann aufs Vorschiff, um den Spibaum und die Behelfsschot auf der Leeseite aus- und der neuen Luvseite wieder einzupieken. Danach Großbaum schiften, Bullenstander neu setzen und Fock wieder ausrollen. Einmal vergesse ich dabei, den Karabinerhaken für die Behelfsschot korrekt zu verschließen und beim nächsten Schiften finde ich ihn aufgebogen vor. Das ist zum Glück ganz knapp nochmal gut gegangen.   

Es ist zwar sonnig, aber auch ziemlich diesig, so dass ich die herrlichen und hohen Kliffs der Opalküste leider nur schemenhaft durch den Dunst schimmern sehe. Der Schlafmangel der vergangenen Tage und Nächte fängt immer stärker nun doch an, sich bemerkbar zu machen. Aufgrund des nunmehr gegenlaufenden Gezeitenstroms verringerte sich die Geschwindigkeit über Grund zeitweise auf 4 -5 Knoten und gleichzeitig verstärkt sich der Wind und das Wellenbild wird ruppiger. Das ist angesichts der noch verbleibenden Distanz frustrierend und anstrengend. Am frühen Abend überlege ich tatsächlich, nach Fecamp zu laufen und am nächsten Tag von dort direkt weiter nach Cherbourg zu gehen. Das wäre nicht unbedingt ein schlechter Plan gewesen, aber ich habe es dann doch nicht gewagt, spontan und ohne eine sorgfältige Planung in diesen ersten tidenabhängigen und nach Nordwesten exponierten Hafen dieser Reise einzulaufen. Also geht es weiter in die Nacht Richtung Cap d’Antifer und weiter nach Le Havre an der Mündung der Seine.

Gegen Mitternacht, der Wind hat inzwischen erheblich abgenommen und ich habe längst ausgerefft, geht es mit ESE-lichen Kurs in die Seinemündung Richtung Le Havre in den Port Plaisance. Die letzten Meilen laufen wunderbar bei 3 – 4 Beaufort und glattem Wasser und dann geht es unter Maschine in die nächtliche Marina. Nachts einen unbekannten Hafen anzulaufen ist immer ein besonderes Erlebnis. Ich finde einen komfortablen Platz an der Gästebrücke und falle erschöpft in die Koje.

Mittwoch, den 19.04.2023 Hafentag in Le Havre

Am nächsten Morgen schlafe ich halbwegs aus und als ich gegen 9 Uhr bei strahlendem Sonnenschein an Deck komme, bin ich erstmal sehr positiv beeindruckt von dem hellen und eleganten Eindruck, den die Marina und die Stadt machen. Die Marina ist mit über 1.000 Plätzen verteilt auf 2 Becken, riesengroß. Die Hausfassaden sind überwiegend weiß und gepflegt, eingefasst durch eine elegante, südländisch anmutende Promenade und dazu seeseitig lebhafter Schiffsverkehr. Erstmals empfinde ich Urlaubsgefühle auf dieser Reise.

Nach Checken des Wetterberichtes beschließe ich, hier zu bleiben und in dieser überraschend schönen, französischen Stadt einen entspannten Hafentag zu verbringen. Ich skype mit Sophie, schlendere durch die Straßen und zum Strand, kaufe einen Ersatz für den verbogenen Karabiner, koche und putze ein bißchen und beschließe am Folgetag gegen 7 Uhr zu starten, um vor Cherbourg den mitlaufenden Gezeitenstrom passend zu haben.    

Etappe 5: Le Havre – Cherbourg, ca. 70 nm, ca. 10 h

Donnerstag, den 20.04.2023

Der Check des Wetterberichtes nach dem Aufstehen ergibt, dass heute zwar wieder einige Spitzen über 25 kn Wind zu erwarten sind, ansonsten aber der vorhergesagte NNE zwischen 4 – 5 Beaufort keine Problem darstellen sollte. Zwischen Barfleur und Cherbourg sind starke Gezeitenströme zu erwarten und der Trip ist deshalb so kalkuliert, dass ich die Kenterung des Gezeitenstrom ca. 10 nm vor Barfleur und dann mitlaufenden Strom bis Cherbourg habe. Finde hier das Video über TIMEZERO Navigator zur Unterstützung der Gezeiten Navigation:

Ich genieße wieder wunderbares Segeln bei strahlendem Sonnenschein. Allerdings findet hier erheblicher Berufsschiffsverkehr statt; Le Havre ist der zweitgrößte Seehafen Frankreichs nach Marseille. Zuerst wundere ich mich über die häufigen Helikopterflüge und auch im VHF sind immer wieder Helikopterpiloten zu hören. Bis ich mitbekomme, dass die Lotsen per Helikopter zu den Schiffen und zurück transferiert werden. Der Heli bleibt über dem Dampfer in Position und der Lotse wird dann ab- oder aufgewinscht. Abenteuerlich. Die Abstimmung eines Ausweichmanövers mit einem Containerfrachter, der zwischenzeitlich für mich auf Kollisionskurs kommt, funktioniert problemlos per Funk.

Der Wind kommt mit etwa 120 Grad von Stb und nimmt im Laufe des Vormittages zu und die Welle ebenso. Der Autopilot hat gut zu tun und das quietschende Ruder zerreibt meine Nerven. Die Sorge um das möglicherweise verrutschte Ruderlager wird zur mentalen Belastung und ich muss mich selbst immer wieder zur Ruhe zwingen.

Die dwars kommenden Wellen werden höher und der Autopilot arbeitet immer heftiger. Ich beobachte, dass das Heading des elektronischen Kompass sehr stark um den COG schwankt und diese schwankende Abweichung scheinbar auch mit zur übertrieben heftigen Bewegung des Autopiloten beiträgt. Das Heading beginnt immer weiter nach Backbord auszuwandern, bis es schließlich dauerhaft um 60 und mehr Grad von COG abweicht. Das kann auf keinen Fall stimmen, irgend etwas läuft hier falsch. Wirklich gruselig.

Ich stelle den Autopiloten aus und steuere für die nächsten Stunden von Hand. Dabei merke ich, wieviel Arbeit der Autopilot normalerweise unterwegs leistet, und zwar ununterbrochen. Und man nimmt das als selbstverständlich hin. Ich bin sehr beeindruckt und mir wird klar, dass ich für den Ausfall des Autopiloten kein wirkliches Backup habe. Und unter diesen Bedingungen mit Wind zwischen 5 und 6 Beaufort und entsprechender Welle würde ich das Schiff nicht mal sicher für längere Zeit beidrehen können ohne Ruder zu gehen. Ich frage mich zum ersten Mal, ob es wirklich eine gute Idee ist, das Schiff einhand über die Biscaya segeln zu wollen.

Am frühen Nachmittag kentert der Strom und beginnt mitzulaufen. In Höhe Barfleur beginnt das Wellenbild chaotisch zu werden, es bilden sich große Eddies und teilweise sehr steile Wellen. Irgendwann steigt tatsächlich eine Welle übers Heck ein, zum Glück nicht sehr heftig und das Wasser läuft schnell wieder ab, aber immerhin: für mich das erste Mal. 

Der Wind nimmt später immer weiter ab und am späten Nachmittag kommt die Außenmole von Cherbourg in Sicht. Erst bei der Einfahrt erkenne ich, um was für ein gigantisches  Bauwerk es sich handelt. Der dadurch geschaffene Schutzhafen ist sicher 4 nm breit und 2 nm tief, unglaublich. Während ich die Segel einpacke und das Boot Richtung Hafen tuckert, höre ich plötzlich ein schnaufendes Geräusch und ein Plätschern von der Seite und traue erstmal meinen Augen nicht: sind das tatsächlich Delphine, die sich da tummeln? Und ja, ich werde von 2 Delphinen begrüßt, die rechts und linkst neben und vor dem Schiff auftauchen, sich schließlich zurückfallen lassen und sich mit einem phantastischen Doppelsprung verabschieden, den ich sogar kurz filmen kann. Finde hier das kurze Video:

Ich laufe in die riesige Marina ein und finde schnell einen guten Platz am Gästesteg. Es ist um diese Jahreszeit noch nicht so viel los wie im Sommer. Die Marina hat 1.600 Plätze und alle Angebote, die das Skipperherz sich wünschen mag: Ausrüster, Yachtwerft, Segelmacher usw. Man kann sich gut vorstellen, warum dieser Hafen zum Ziel des Fastnet Race auserkoren wurde. Wie schon seit Scheveningen alle Häfen ist auch dieser gut gefüllt, es stehen kaum noch Schiffe an Land. Die Saison beginnt hier sehr viel früher als bei uns an der Ostsee.   

Für morgen ist erst noch NE angesagt, der aber im Laufe des Abends einschlafen und dann auf W drehen soll. Das ist mir zu wacklig für den 170 Meilen Törn nach Camaret sur mer, der eigentlich als nächstes ansteht. Zum einen möchte ich irgendwie versuchen, der Sache mit dem quietschenden Ruder auf den Grund zu gehen. Dazu kommt ein zunehmend tropfender Wärmetauscher am Motor, der mir Sorgen macht und mich dazu bringt, die Maschinenlaufzeiten zu minimieren. Grund genug für einen Hafentag und wenn ich beim Schrauben etwas kaputt machen sollte, gibt es hier alle Möglichkeiten professionelle Hilfe zu bekommen.

Freitag, den 21.04.2023

Hafentag, erstmal in Ruhe frühstücken. Dann schaue ich mir den Wärmetauscher an: der Zugang von der Seewasserpumpe ist undicht, hier tropft es, wenn die Maschine läuft, alle anderen Zugänge scheinen dicht zu sein. Ich vermute, dass die Dichtung porös ist und ersetzt werden muss, traue mich aber nicht, das Anschlußstück herauszuziehen, weil ich Angst habe die Dichtung so ganz zu zerstören. Ersatz habe ich nicht und werde ich für einen so alten Motor hier auch sicher nicht so schnell bekommen. Ich beschließe das Tropfen erstmal in Kauf zu nehmen und zu beobachten.

Als nächsten widme ich mich dem Ruder und stelle als erstes fest, dass die beiden Quadranten für Ruder und Autopilot sowie der Ruderlagengeber nicht exakt übereinstimmen, sondern jeweils wenige Grade voneinander abweichen. Vielleicht ist das ja der Grund für die zunehmenden Irritationen des Autopiloten? Ich bringe alle 3 in exakte Übereinstimmung. Da ich vermute, dass das Quietschen auch von einem vollkommen trockenen oberen Ruderlager herrühren könnte, versuche ich die Welle oberhalb des Lagers zu befeuchten, in der Hoffnung, so eine Wasserschmierung zu bewirken.

Mehr kann ich heute mit Bordmitteln nicht machen. Ich komme ins Gespräch mit dem Skipper einer polnischen Yacht, die auf dem Weg nach Griechenland und nonstop von Cuxhaven nach Cherbourg durchgefahren ist. Sie wollen morgen weiter nach Camaret und dann über die Biscaya, eigentlich auch genau mein Plan. Der Skipper bietet mir das Segeln im Konvoy an, aber ich lehne dankend ab: die Burschen sind zu Dritt und können es sich – im Gegensatz zu mir – erlauben tage- und nächtelang durchzufahren und Strecke zu machen, wenn nötig auch unter Maschine. Das würde mich überfordern.

Später schlendere ich durch den Ort und kehre am frühen Abend in ein schönes Restaurant am Hafen ein. Für Morgen ist vormittags erst Flaute und nachmittags NW 3 – 4, später SW drehend angesagt, keine guten Voraussetzungen für einen 170 Meilen Trip nach SW, zumal der Tidenstrom erst gegen 11:00 kentert und beginnt nach Westen zu laufen. Vor 11:00 Uhr macht es keinen Sinn auszulaufen. Ich überlege, ob ich die Etappe teilen und morgen erstmal nur nach Guernsey gehen sollte. Der Gedanke gefällt mir zunehmend und ich kaufe eine Gastflagge für Guernsey.

Etappe 6: Cherbourg – Guernsey, ca. 44 nm, ca. 6 h

Samstag, den 22.04.2023

Der Tag beginnt windstill und ich lasse es ruhig angehen. Ich kaufe mir in der Stadt ein schönes knuspriges Baguette und gegen 11:00 Uhr lege ich ab. Im großen Vorhafen setze ich den Autopiloten zurück und initialisiere ihn neu. Danach stimmen alle Parameter erstmal wieder. Ich werde dem Braten aber erst wirklich wieder trauen, wenn der Autopilot einige Stunden in rauher See bei raumen Wind ohne irgendwelche Abweichungen sauber gesteuert hat.

Die ersten beiden Stunden laufe ich unter Maschine mit zunehmend mitlaufendem Tidenstrom. Ich habe einen Höllenrespekt vor dem Alderney Race und will da – gerade jetzt bei Neumond – auf keinen Fall hineingeraten. Die Passage westlich von Alderney scheint mir aber vertretbar, da hier laut Karte wesentlich geringere Strömungsgeschwindigkeiten zu erwarten sind.

Am späten Mittag kommt in Höhe von Cap de la Hague ein NW WInd mit um die 3 Beaufort auf, mit dem ich die Passage westlich von Alderney anliegen und dann Richtung Guernsey abfallen kann. Wunderbares Segeln unter Vollzeug und mitlaufendem Strom mit bis zu 10 kn über Grund. Als ich am späten Nachmittag mit beginnendem Stillwasser in den Sund zwischen Herm und Guernsey einlaufe, baut sich im Westen eine gewaltige Schauerböe auf, die mich noch kurz vor der Einfahrt in Saint Peter Port mit voller Wucht erwischt. Die Sicht ist schlagartig weg, aber zum Glück habe ich den Außenbildschirm, auf dem ich genau sehe, wo ich mich befinde und wo ich hin muss.

Noch in der Einfahrt habe ich plötzlich ein RIB neben mir und ein freundlicher Harbourmaster fragt, ob ich in den Innenhafen will. Die Passage des Sill ist gerade möglich und drinnen sind Plätze frei. Ich bevorzuge erstmal den Gästeponton im Außenhafen, um mich in Ruhe zu orientieren und zu entscheiden, ob und wann ich weiter will. Ich bekomme die Unterlagen für das Einklarieren in die Hand gedrückt und bei strömendem Regen Hilfe beim Anlegen am Ponton.    

Beim Ausfüllen der Unterlagen erkenne ich überrascht, dass für die Einreise ein Reisepaß erforderlich ist und die Flagge Q gesetzt werden muss, bis die offizielle Einklarierung erfolgt ist. Ich habe weder das eine noch das andere. Ich zaubere schnell eine Flagge Q aus einem gelben Bettlaken, die ich brav setze und lasse mir von Heike per Whatsapp ein Foto meines Reisepasses schicken. Letzteres kostet mich wegen der brutalen Roaming Bedingungen meines Providers über 50 €.

Sonntag, den 23.04.2023 und Montag, den 24.04.2023

Der Wetterbericht sagt für heute und morgen Westwind mit zeitweise bis zu 25 kn und Schauerböen vorher. Hoch am Wind Richtung Brest kommt unter diesen Umständen für mich nicht in Frage. Auch Paimpol oder Lezardrieux , wo ich mit halbem Wind hinsegeln könnte, bringen nichts, auch weil ich bei kräftigem auflandigen Wind keine unbekannten, gezeitenabhängigen Einfahrten kennenlernen will. Übermorgen soll der Wind wieder auf NNE drehen, so dass ich in einem Rutsch durchgehen könnte bis Camaret. Ich beschließe zu bleiben und 2 Hafentage in Saint Peter Port zu genießen.

Langsam muss ich zu einer Entscheidung kommen, ob ich die restlichen Urlaubstage nutze, um wie geplant von Camaret sur mer über die Biscaya zu gehen, oder ob ich erstmal an der französischen Biscayaküste in der südlichen Bretagne bleibe und die größten technischen Probleme (quietschendes Ruder und tropfender Wärme­tauscher) löse. Ab Ende der Woche sind für die Biscaya eher schwache Winde vorhergesagt, was lange Stunden Motorfahrt bedeuten würde. Das und mein noch nicht wiederhergestelltes Zutrauen zum Autopiloten geben den Ausschlag: ich tendiere dahin, jetzt noch nicht über die Biscaya zu gehen.

Für die südliche Bretagne habe ich allerdings noch kein Seekarten Backup (weder digital und auch kein Papier). Beim örtlichen Yachtausrüster habe ich kein Glück, ich finde dort nur Stückwerk und das noch veraltet. Ich bestelle die digitalen Karten beim NV Verlag und lade sie mir auf den iPad runter.  

Morgen, am Dienstag, will ich in aller Frühe los, das Sill wird allerdings erst gegen 09:00 Uhr passierbar sein. Ich lege deshalb bereits am Abend gegen 21:00 ab und verhole das Schiff an den Ponton im Außenhafen, so dass ich morgen früh tidenunabhängig starten kann. Ich könnte die Passage bis zum Chenal du Four in ca. 15 h schaffen. Allerdings wird der Gezeitenstrom gegen 18:00 Uhr kentern und für die nächsten 6 Stunden Richtung Nord laufen, so dass die Passage des Chenal du Four am Abend keinen Sinn mehr macht. Statt dessen bietet sich L’Aber Wrack als Ziel für die Übernachtung an.  

Etappe 7: Guernsey – L’Aber Wrack, ca. 100 nm, ca. 15 h

Dienstag, den 25.04.2023

Ich starte früh um 06:00 Uhr, noch vor der Fähre nach England. Der Wind kommt wie vorhergesagt und schiebt das Boot mit ausgebaumten Segeln flott voran. Während ich an der wunderschönen Ostküste von Guernsey entlangsegele, kommt mir ein Kreuzfahrtschiff entgegen, das langsam den Sund passiert.

Die Überfahrt läuft reibungslos, der Autopilot steuert unter diesen eher günstigen Bedingungen (NW, später NNE 4 – 5 Beaufort, See 1,5 m) ohne Probleme. Einzig das quietschende Ruder martert meine Nerven.

Zum Mittagessen gibt es – wie so häufig auf See – eine Tüte Tactical Foodpack. Die Zubereitung ist, auch unter rauhen Bedingungen, so bequem und sicher und außerdem schmeckt es tatsächlich auch einigermaßen, dass ich mittlerweile unterwegs auf langen Schlägen die frische Zubereitung aufgegeben habe. Auch Kaffee kommt der Bequemlichkeit halber aus der Nespressomaschine, was selbst bei Lage und Welle reibungslos und sicher funktioniert.  Am frühen Nachmittag begleitet mich eine Schule Delphine und es gelingt mir ein kurzes Video:  

Gegen Abend flaut der Wind ab und erreiche ich die Einfahrt L’Aber Wrack unter moderaten Bedingungen. Es ist kurz vor HW und der Strom schiebt mit 2 kn Richtung NE und es gibt einige gut sichtbare Seezeichen. Trotzdem bleibt es eine kniffelige und spannende Einfahrt zwischen den Felsen. Ich motore den wunderschönen Fluss hinauf und mache in der Abenddämmerung an einer Mooring vor dem Hafen fest. Was für ein Genuß hier angekommen zu sein und ohne Zeitdruck hier die Ruhe am Abend zu erleben.    

Etappe 8: L’Aber-Wrack – Ile de Sein, ca. 40 nm, ca. 8 h

Mittwoch, den 26.04.2023

Der Tag beginnt mit Regen und ich lasse es ruhig angehen. Vor 11:00 Uhr brauche ich nicht zu starten, weil erst gegen 12:00 Uhr der Strom im Chenal du Four Richtung Süden zu laufen beginnt. Am Vormittag hört der Regen auf und wird abgelöst durch Nebelfelder, die ein leichter Wind aus WSW landeinwärts treibt. Eine kleine Opti und Teeny Flotte regattiert munter vor dem Hafen. Man sieht hier in Frankreich wirklich überall ambitionierten Segelnachwuchs. Segeln hat hier als Volkssport einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland.

Ich starte gegen 11:00 Uhr trotz der schlechten Sicht und motore mit gesetztem Groß die ersten beiden Stunden gegen den leichten Wind. Es ist gut hier Radar zu haben und so die schlechte Sicht kompensieren zu können. Am späten Mittag klart es auf und ich kann mit Groß und Fock Kurs S anliegen. Jetzt begegnen mir auch einige Yachten, u. a. auch eine Class 40 im Trainingsmodus und eine deutsche Ketsch, die Richtung Norden unterwegs ist.

Der Wind hat sich eingegrooved, die Sonne scheint und es geht mit 5 – 6 kn durchs Wasser, herrlich. Am späten Nachmittag erreiche ich den Südausgang des Chenal du Four und kann mich nicht entschließen von hier aus die 12 Meilen Richtung Camaret sur Mer zu gehen. Zum einen, weil ich damit recht weit vom kürzesten Weg nach Süden abweichen würde, zum anderen, weil für morgen SW um 4 Beaufort vorhergesagt sind und ich dann von Camaret aus die ersten 15 Meilen kreuzen müsste.

Der Wind nimmt zwar jetzt etwas ab, aber ich trödele weiter Richtung Süden auf die Ile de Sein zu. Vor mir segeln 2 weitere Yachten direkt auf das Raz de Sein zu. Eine wunderbare Abendstimmung, so könnte es ewig weitergehen. Ich überlege kurz, ob ich das Zeitfenster und die ruhigen Bedingungen nutzen und das Raz de Sein heute abend noch passieren soll. Ich entscheide mich dann aber dagegen, weil der nächste Hafen dann Audierne wäre, von wo aus ich morgen für den angesagten SW Wind wieder eine ungünstige Ausgangsposition hätte.

Das nächste Zeitfenster für die Passage des Raz de Sein (Stillwasser – bevor der Strom Richtung S dreht) ist nach meinen Berechnungen morgen zwischen 09:30 und 10:30 Uhr. Mein Plan ist es, für die Nacht vor der Ile de Sein zu ankern und morgen bei angesagten SW Wind das Raz zu passieren. Plötzlich werde ich von der Küstenwache direkt über Funk angerufen und gefragt, was ich vorhabe. Ich erkläre kurz meinen Plan und bekomme die besten Wünsche für die Weiterfahrt. Ich bin erstaunt, dass hier tatsächlich eine so enge Überwachung stattfindet. Angesichts der Risiken, die eine unbedachte Passage des Raz de Sein mit sich bringen kann, sicher sehr sinnvoll und hilfreich.

Ich mache an einer Mooring zwischen den Felsen vor dem Hafen der Ile de Sein fest. Außer mir liegt hier nur noch ein Boot der „Sauveteurs en mer“ und es ist einsam und still. Nur das Wasser ist ständig in Bewegung, man spürt die großen Energien, die hier im steten Wechsel der Gezeiten frei gesetzt werden. Ab und zu ertönt ein dunkles Rauschen, wie das Schlürfen eines tiefen Schlundes, zwischen den Felsen herauf. Ich genieße den Abend und fühle mich mit meiner Planung für morgen wohl und sicher.  

 Etappe 9: Ile de Sein – Huedic, ca. 100 nm, ca. 15 h

Donnerstag, den 27.04.2023

Morgens um 04:00 Uhr wache ich auf vom Regen und dem Klappern der Fallen. Es hat aufgefrischt und ich erkenne mit Schrecken, dass ein SE Wind mit 5 Beaufort einen unangenehmen Schwell zwischen die Felsen treibt. SE Wind bedeutet, dass ich genau gegen den Wind durch das Raz gehen müsste, was natürlich nicht in Frage kommt. Bei 5 Beaufort gegenan motoren und das bei einem Zeitfenster von 1 h in einem der wildesten Gezeitenfahrwasser: unmöglich.

Ich lege mich erstmal wieder hin. Als es hell wird, hört der Regen auf, aber es ist neblig und trübe und der Wind pfeift weiterhin aus SE. Die Insel und die Felsen sind nur schemenhaft erkennbar. Unter diesen Umständen bleibt mir nur zu warten. Wenn ich das Zeitfenster ab 09:00 Uhr für die morgendliche Passage nicht nutzen kann, bleibt mir nichts anderes übrig, als weitere 12 h bis zum nächsten Zeitfenster hier an der Mooring zu bleiben und zu warten. Mit der Aussicht anschließend die Nacht hindurch zu motoren, weil ab dem Abend Flaute angesagt ist. Ich überlege kurz, ob ich westlich um die Ile de Sein und das vorgelagerte Riff gehen soll, aber als ich erkenne, dass dies einen Umweg von 30 nm bedeutet, verwerfe ich den Gedanken wieder.

Gegen 09:00 Uhr beginnt der Wind etwas auf 4 Beaufort nachzulassen und auf S zu drehen. Bei Südwind könnte ich anliegen und unterstützend zur Maschine das Groß setzen. Die Sicht ist immer noch sehr schlecht und das Boot liegt in einem unruhigen Schwell. Ich schwanke, ob ich es wagen soll zu starten. Ich überprüfe noch einmal sorgfältig das Zeitfenster für die Passage, auch anhand der Instruktionen im Reeds. Zeitlich passt alles. Ich fasse mir ein Herz und mache das Schiff startklar. Unter Maschine geht es erstmal Richtung Norden aus dem Felsengewirr heraus, dann südostlich mit Unterstützung des gerefften Großsegels durch das unruhige Wellengewirr im Stillwasser.

Zahlreiche Eddies und Unterströmungen sorgen hier für ein völlig wirres und unangenehmes Wellenbild. Im Nebel taucht an Backbord ein Fischerboot auf, das einen Parallelkurs fährt. Ich komme besser voran als gedacht und der Wind dreht langsam über Süd hinaus auf Südwest. Es läuft jetzt und langsam kann ich mich entspannen. Nach einer Stunde setze ich die Fock dazu und kann die Maschine aus machen. Langsam lichtet sich auch der Nebel und die Sicht wird besser.

Im Laufe des Tages dreht der Wind immer weiter über West hinaus bis auf Nordwest und nimmt auch wieder etwas zu auf 5 Beaufort. Zeitweise kann ich die Fock ausbaumen und es geht flott voran. Am frühen Nachmittag bin ich schon in Höhe der Iles de Glenan, meinem ursprünglichen Etappenziel. Da es gerade so gut läuft und für morgen Flaute angesagt ist, nehme ich Kurs auf die Bel Ile. Zu meiner großen Freude bekomme ich am frühen Abend wieder Besuch von einer Delphinschule. Ich reffe aus und am späten Abend erreiche ich die Nordspitze der Bel Ile.

Es ist fast kein Schwell und der moderate Wind treibt das Schiff gut voran. Die Sicht ist gut und die Leuchtfeuer sind gut zu erkennen. Ich beschließe den guten Wind zu nutzen und noch an der Insel vorbei zu segeln. Gegen Mitternacht fädele ich mich unter Maschine vorsichtig durch die Untiefen zwischen Houat und Ile d’Hoedic und gehe im Port de l’Argol an eine Mooring. Beim Anlegen fällt mir auf, dass meine Dieselabgase anders und stärker riechen als sonst, ich messe dem aber erstmal keine Bedeutung bei. Ich staune, dass hier alle Moorings belegt sind und nachts um 1 Uhr noch Leben auf den Schiffen ist: ein Dinghi bringt Leute aus dem Hafen auf ihr Schiff, jemand steht im Cockpit und raucht, leise Gesprächsfetzen dringen über das Wasser. Fast wie ein Sommerabend an der Ostsee.

Passage 10: Ile d’Hoedic – Pornichet, 22 nm, ca. 4 h  

Freitag, den 28.04.2023

Der nächste Morgen beginnt windstill, warm und mit pottendickem Nebel. Früh um 09:00 Uhr bekomme ich Besuch von der sehr netten Hafenmeisterin im RIB. Wir radebrechen ein wenig auf englisch und ich verstehe, dass ich sie auf Kanal 9 rufen kann, wenn ich an Land will. Mein eigenes Dinghi ist noch eingepackt und nicht einsatzbereit.

Mein Urlaub geht langsam zu Ende und ich muss mir jetzt Gedanken machen, wo ich das Schiff lassen will für die nächsten Wochen. Ich schaue mir die Häfen im Umkreis von 20 – 30 Meilen an unter den Kriterien Tidenabhängigkeit, Yachtausrüster und Slip-, Reparatur- und Einkaufsmöglichkeiten sowie Bahn- und Flugverbindung. Schließlich kristallisieren sich Pornic und Pornichet links und rechts der Loiremündung als Optionen heraus; beide haben einen guten Zugang von See her und eine gute Bahnanbindung an Nantes. Ich rufe als erstes in Pornic an und werde aufgefordert einen Liegeplatz per mail anzufragen, was ich auch brav tue. Zusagen oder versprechen kann man mir allerdings nichts. Ich buche außerdem ein Flugticket von Nantes nach Berlin für kommenden Montag, den 1. Mai.

Ein Segler von der einzigen anderen deutschen Yacht im Hafen kommt mit seinem Dinghi herüber und wir plaudern eine Weile. Er hat das Schiff fest in dieser Region liegen und kann so einiges erzählen und mir den ein oder anderen Tipp geben.

Die auffälligen Auspuffgase machen mir weiterhin Sorgen und ich lese alles zu weißem, schwarzen und blauen Rauch in den Auspuffgasen eines Dieselmotors. Wenn dann handelt es sich in meinem Fall um Blaurauch und das wäre vermutlich eine Katastrophe, denn meistens ist der Motor dann früher oder später hin. Allerdings läuft der Motor immer ruhig und gleichmäßig und springt unter allen Bedingungen sofort und tadellos an, so dass ich eigentlich nicht glauben kann, ein ernsthaftes Problem zu haben. Wir werden sehen.  

Am frühen Nachmittag lichtet sich der Nebel und es kommt ein ganz leichtes Lüftchen auf. Ich lege ab und nach einer Stunde motoren reicht der nördliche Wind aus, um zu segeln. Es wird ein sanfter und leiser Ausklang für meinen bisher weitesten und schönsten Einhand Törn. Als ich am Abend in Pornichet einlaufe, traue ich meinen Augen nicht: der Hafen liegt voller Pogos und anderen Rennyachten und auf den ersten Blick ist wirklich nicht der kleinste Liegeplatz frei. Hier findet wohl an diesem Wochenende ein internationales Regatteevent statt. Pornichet Select wie sich später herausstellt. Ich schraube mich tiefer in den Hafen und finde schließlich in der 2. Reihe an einer 50 Fuß Yacht längsseits einen Platz für die Nacht.  

In den nächsten Tagen gelingt es mir mit den sehr netten Leuten in Capitanerie zu klären, dass ich das Schiff für die nächsten Wochen hier liegenlassen kann. Ich bekomme sogar einen richtige Platz am Fingersteg, wo das Schiff sicher und gut liegen kann. Beim Einpacken des Großsegels entdecke ich, dass ein Mastrutscher komplett zerbrochen ist und zwei weitere kurz davor sind.

Jetzt habe ich also ein weiteres Problem zu lösen.

Und es war richtig, mit all den Problemen im Nacken erstmal nicht über die Biscaya zu gehen, sondern in Ruhe zu klären und nach Lösungen zu suchen. Eine Herausforderung wie die Biscaya möchte ich nicht in Angriff nehmen, wenn das Schiff nicht absolut mängelfrei und intakt ist.

Nachtrag und Fazit:

Ich konnte Mitte Mai nochmal zum Schiff, um die wichtigsten Reparaturen durchzuführen. Ich habe die Quadranten und den Lagegeber demontiert und das Ruder ca. 10 cm nach unten abgelassen und dann bei einem Tauchgang festgestellt, dass das untere Lager korrekt an seinem Platz sitzt und sich auch nicht mit dreht. Große Erleichterung!!! Das Quietschen kam tatsächlich vom oberen Ruderlager, welches einfach nur trocken gelaufen war. Mit der Gabe von reichlich Teflonspray auf Welle und Lager verschwindet das Quietschen.

An der Seewasserzuführung für den Wärmetauscher habe ich die alte und poröse Dichtung durch eine neue ersetze und das scheint es tatsächlich gewesen zu sein. Bisher tropft es nicht mehr am Wärmetauscher.

Die Lieferung der Ronstan Mastrutscher hat sich leider bis Anfang Juni verzögert, so dass ich die alten Rutscher bei meinem Besuch im Mai noch nicht ersetzen konnte.  

Bezüglich der Abgase habe ich festgestellt, dass die stärkere Rauchentwicklung nur im Leerlauf stattfindet, bei 1.500 Umdrehungen sehen die Abgase ganz normal aus. Da der Motor weiterhin ohne Probleme startet und auch sonst keine Auffälligkeiten zeigt, gehe ich davon aus, dass der Diesel, den ich in Boulogne getankt habe, ein anderes Abgasbild zeigt als der GTL/BTL Diesel, den ich bisher immer im Tank hatte. Bin erstmal vorsichtig optimistisch, muss das Ganze aber weiter beobachten.

Insgesamt kann ich jetzt schon sagen, dass dies die bisher schönste und aufregendste Reise meines Lebens war. Ich bereue nicht eine einzelne Sekunde! Aber mir ist natürlich auch klargeworden, dass der Plan in 2 Wochen von Cuxhaven über die Biscaya bis nach Galizien zu segeln mehr als kühn war. Trotz des Trainings längerer Einhand-Törns in den Jahren zuvor und trotz der sehr umfangreichen Ausstattung des Schiffes.

Ich bin mehrfach über meine Grenzen hinaus gefordert worden, körperlich, aber vor allem mental. Und genau das ist das Elexier, welches mir diese Reisen bringen: das Durchstehen und erfolgreiche Bewältigen einer Überforderungssituation auf See und das Erreichen der machbaren Ziele mit den gegebenen Mitteln.

Der Kernpunkt, der mich davon abgehalten hat, die Biscaya Überquerung am Ende  doch noch übers Knie zu brechen, war die Erkenntnis der fehlenden Redundanz für den Autopiloten bzw. der fehlenden Möglichkeit, das Schiff auch unter rauhen Bedingungen für einige Stunden sich selbst überlassen zu können. Diese Möglichkeit ist für mich als Einhandsegler auf einer mehrtägigen nonstop Reise über den offenen Ozean absolut essenziell. Dass der Autopilot auch mal ausfallen kann, hätte ich natürlich vorher wissen können. Aber dieses Risiko habe ich nicht wahrgenommen oder besser verdrängt: er hat eben jahrelang auf allen Reisen immer zuverlässig seinen Dienst getan. Klassischer „availability bias“ …  

Im Rückblick fühlt sich das Ergebnis dieser Reise wie ein gewisses Maßnehmen an: welche Herausforderungen lassen sich – gemessen an der Qualität meiner Vorbereitungen und meiner persönlichen Ressourcen – noch meistern und wo sollte Schluss sein. Für mich fühlt es sich so, wie ich es gemacht habe, stimmig an und ich bin dankbar, dass ich es machen konnte.

Außerdem ist die Bretagne für mich als Ostseesegler ein wunderbares und faszinierendes Revier. Nicht nur die traumhafte, teilweise atemberaubend schöne Landschaft, pittoreske Orte und Häfen und die lässige Lebensart der Franzosen finde ich sehr anziehend. Noch faszinierender finde ich aber die unübersehbare Allgegenwart des Meeres mit all seinen aufregenden Aspekten wie Fischerei, Meeresfrüchte, Freizeitgestaltung, Wetter, … Und gerade das Thema Gezeiten, das ich aus der Ferne eher als lästig und risikobehaftet wahrgenommen habe, erweist nach einer kurzen Gewöhnung als besonders verbindend mit dem Meer und der Landschaft. Man grooved sich in den Rhythmus der Gezeiten ein und beginnt bei allen Überlegungen und Planungen die Gezeiten eher mühelos mit einzudenken und zu berücksichtigen. Damit aber ist das Meer noch mal in ganz anderer und intensiverer Weise anwesend als an der Ostsee.

Die Häfen sind zwar voll, egal ob klein oder groß. Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deshalb, werden sie aktiv gemanaged, vor allem die großen Marinas, aber auch die meisten Inselhäfen inkl. der Moorings. Freundliches Personal ist immer über Funk (meist CH 9) und meist auch per Telefon erreichbar. Neuankömmlinge werden in der Regel mit dem RIB in Empfang genommen und an einen Platz geleitet, sofern das noch irgendwie möglich ist. Die Verständigung auf englisch klappt eigentlich immer, wenn die eigenen Französischkenntnisse nicht ausreichen.

Ich werde weiter berichten.


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