Von der Bretagne zurück an die Ostsee

Im Juli und August haben wir in der südlichen Bretagne (Region Loire Atlantique) eine wunderbare Zeit verbracht. Natürlich war es Hochsaison und dementsprechend voll waren Häfen und Ankerbuchten. Aber das tut der Schönheit des Revieres und der Lockerheit der Menschen dort keinen Abbruch. Die französische Lebensart ist einfach sehr angenehm. Genuß wird entspannt zelebriert und fast alles lässt sich mit Geduld und Humor regeln. Die Offenheit und Freundlichkeit der Franzosen in den Marinas und auch sonst ist groß. Allerdings wenn man nicht halbwegs fließend französisch spricht, sollte man besser zum Englischen wechseln, das scheint den Franzosen lieber zu sein und reicht für eine reibungslose Verständigung und Small Talk meist aus.

Pornichet und La Baule

Unsere Highlights waren Pornichet, Piriac sur Mer und die traumhaften Ankerbuchten rund um Ile d’Houat und Hoedic. Aufgrund des überwiegend guten Wetters ein Erlebnis fast so wie man sich die Karibik vorstellt.

Ile d’Houat

Schweren Herzens habe ich schon im Sommer die Entscheidung getroffen, mit dem Schiff nicht über die Biscaya und weiter nach Spanien und Portugal zu gehen und dort zu überwintern, sondern es zurück an die Ostsee zu holen. Es zeigt sich einfach, dass aus familiären Gründen letztlich nur wenige Wochen im Jahr bleiben, um auf dem Schiff zu sein. Dafür dann jedesmal in den Flieger zu steigen, um in den schönsten Revieren Europas zu segeln, kann nicht entschädigen für die langen Wochen, in denen das Schiff in teuren Häfen liegt und gar nicht erreichbar ist. Dann lieber das Schiff in der Nähe haben und im Sommer das Zeitbudget maximal ausreizen, um möglichst weite Törns in schöne und erreichbare Reviere zu machen.   

Der Plan ist also, das Schiff ab dem 08.09. zurück an die Ostsee zu bringen. Am 28.09. muss ich für eine Woche wieder nach Hause. Mal sehen, wie weit ich bis dahin komme. Ab dem 05.10. habe ich eine weitere Woche Zeit, um die Überführung zu vollenden. 

Ich plane aus mehreren Gründen diesmal über die südenglische Küste zurück zu segeln:

Die überwiegend gezeitenunabhängigen Häfen an der südenglischen Küste liegen in relativ komfortablen Abständen so um die 60 nm und meist auch gut geschützt gegen westliche Winde, da entweder in Flußmündungen oder an der Ostseite von Huks gelegen. Regelrechte Races wie auf der französischen Seite gibt es hier nicht. Ausserdem möchte ich natürlich unbedingt auch die Südenglische Küste kennenlernen, wer weiß ob ich jemals wieder hier her komme. Dafür muss ich ca. 150 nm mehr Strecke einkalkulieren.   

Etappe 1: Pornichet – Ile de Groix, ca. 60 nm, ca. 12 h

Ich komme Freitag spät in der Nacht an und verbringe den Samstag mit Bevorratung und Vorbereitung des Schiffes für die Reise. „Highlight“ ist der obligatorische Tauchgang um den schlimmsten Bewuchs in der Nähe der Wasserlinie und am Saildrive zu entfernen. Als ich einmal rum bin und nur noch den Loggeber ein wenig freibürsten will, bemerke ich, dass unter dem Kiel eine regelrechte Traube aus Muscheln und Algen hängt. Ich traue meinen Augen nicht, tauche nach unten und tatsächlich: unter der Kielsohle ist ein Riesenklumpen gewachsen, der wie eine riesige Kielbombe unter der Sohle hängt. Ich muss mindesten 20 x nach unten tauchen, um den Klumpen mit einem Spachtel komplett zu entfernen. Anstrengend. Zum Glück ist das Wetter hier noch sommerlich, nachts ist es immer noch sehr warm und es gibt Mücken und Wetterleuchten.  

Am Sonntag in der Früh herrscht völlige Flaute und mir ist klar, dass ich mindestens die ersten Stunden, wenn nicht sogar den ganzen Tag werde motoren müssen. Ich bereite das Schiff zum Ablegen vor, eine freundliche Nachbarin kommt noch, um mir zu helfen und gegen 08:00 Uhr geht es aus dem noch schläfrigen Hafen hinaus auf den Atlantik. Ich werfe einen Blick in die Runde und spüre eine gewisse Traurigkeit, diesen schönen Hafen und die Erinnerungen an einen wunderbaren Sommer hier nun endgültig hinter mir lassen zu müssen. Als ich Le Croisic passiert habe, sehe ich, dass hinter mir über Pornichet ein gewaltiges Gewitter niedergeht, das mich jetzt zwar verschont, aber leider auch ohne dass mich nennenswerter Wind erreicht.  

Gegen Mittag klart der Himmel auf, wieder ohne dass sich nennenswerter Wind regt. Ich motore erst an den Inseln Hoedic und Houat vorbei, die sich immer noch als Sommerparadiese präsentieren und erreiche dann die Südspitze von Quiberon, wo sich endlich auch ein Windchen regt. Von hier ab kann ich dann mit 3-4 kn weiter segeln bis zur Ile de Groix.

Bucht von Locmaria auf Ile de Groix

Da die Nacht ruhig werden soll, beschließe ich im Aussenbereich der Bucht von Locmaria zu ankern.

Etappe 2: Ile de Groix – Camaret sur Mer, ca. 90 nm, ca. 19 h

Am nächsten Morgen geht es früh um 6 Uhr weiter, weil ich das Raz de Sein gegen 22 Uhr Richtung Norden passieren will. Da ich nur sehr geringe Revierkenntnis habe, halte ich mich strikt an die empfohlenen Passage Zeiten im Reeds. Eine Schar Delfine begleitet mich entlang der Westküste der Ile de Groix. Leider lässt der Wind auf sich warten, so dass ich mich mit mühsamen 4,5 – 5 kn nach Norden quäle. Gegen Mittag passiere ich die Iles de Glenan, die ich gerne genauer in Augenschein genommen hätte, aber mein Zeit Budget erlaubt es nicht. Wie zum Trost kommt etwas Wind auf, so dass ich mit 4-5 kn segeln und auf die Maschine verzichten kann.

Iles de Glenan

In Höhe Audierne schläft der Wind schon wieder ein und ich muss unter Maschine weiter.

Gegen 22 Uhr erreiche ich Point du Raz und die Passage des Raz de Sein verläuft unspektakulär, allerdings bei schlechter Sicht und teilweise dickem Nebel. Gegen Mitternacht klart es auf und ein traumhafter Sternenhimmel und Meeresleuchten begleiten mich. Die großen Leuchtfeuer sind alle sehr klar sichtbar.

Von SW kommend liegt Camaret Sur Mer hinter einem Huk und die Lichter des Hafens sind erst kurz vorher erkennbar. Trotz elektronischer Seekarte fühlt sich das nachts immer etwas komisch an.

Gegen 3 Uhr morgens mache ich im Port Vauban am Schwimmsteiger fest und falle in die Koje.

Das dürfte nun der langsamste Trip des gesamten Törns gewesen sein: knapp 90 nm in knapp 19 h mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 4,5 kn, überwiegend unter Maschine. Die Passage des Raz de Sein ist für mich ein Meilenstein, weil ich jetzt die vorherrschenden westlichen Winde nicht mehr fürchten muss, sondern optimal nutzen kann. Von jetzt an will ich ich mir Zeit lassen und nur noch mit passenden Winden segeln.

Am nächsten Morgen sehe ich, dass der Hafen höchstens zu 50% belegt ist. Der Hafenmeister kommt mit dem RIB vorbei und bittet darum zum Bezahlen ins Büro zu kommen. Der Wind ist schwach angesagt, deshalb genieße ich den Hafentag, stocke die Vorräte auf, bummele durch den schönen, aber auch sehr touristischen Ort.

Direkt am Hafen gibt es eine wunderschöne kleine Seefahrerkirche und gleich daneben liegen mehrere große Wracks von Fischtrawlern, die hier schon seit Jahrzehnten vor sich hin rosten. In der Bucht vor dem Hafen liegen einige Yachten vor Anker. Ein leichter Südwest Wind geht, die Sonne scheint, ein fast karibisches Flair.

Chapelle Notre-Dame-De-Rocamadour

Etappe 3: Camaret sur Mer – L’Aber Wrac’h, ca. 50 nm, ca. 9 h

Am nächsten Morgen bunkere ich Diesel und setze gleich nach dem Verlassen des Hafens die Segel und gehe hoch am Wind Richtung Chenal du Four. Pünktlich mit dem Kentern des Gezeiten Stroms erreiche ich Pointe Saint-Mathieu und beginne Richtung Norden zu kreuzen. Eine schwedische 15 m Yacht ist mir etwas voraus und wir beginnen ein packendes Match Race. Der scheinbare Wind nimmt durch die „Wind gegen Strom“ Situation etwas zu und ich mache ein Reff ins Groß. Es ist ein phantastisches Segeln und langsam, aber sicher arbeite ich mich an den Schweden vorbei. Nicht weil ich schneller bin, sondern weil mein Schiff mehr Höhe läuft.

Gegen 15 Uhr gehe ich an eine Muring vor L’Aber Wrac’h und werde sofort in Empfang genommen vom freundlichen Hafenmeister, der gleich saftige Gebühren kassiert und anbietet, mich in seinem RIB an Land zu bringen.

Später bekomme ich noch Besuch von den Nachbarliegern, die zwar unter britischer Flagge segeln, aber deutsche Muttersprachler sind. Sie leben an der englischen Südküste und geben mir viele gute Tipps und Hinweise für meine weitere Reise an der englischen Südküste.

Etappe 4: L’Aber Wrac’h – Falmouth, ca. 105 nm, ca. 19 h

Der Tag beginnt mit völliger Flaute und Nebelfeldern. Ich nutze den Vormittag um die Maschine, die Lima und den B2B Lader zu checken.

Für den Nachmittag und die Nacht ist ein leichter südwestlicher Wind vorhergesagt. Deshalb will ich dem Kentern des Gezeitenstromes gegen 15:00 Uhr mit ablaufendem Wasser Richtung Falmouth aufbrechen und plane die Nacht durchzusegeln. Die Bretagne verabschiedet mich mit einem richtigen Sommertag.

Lustige Art Surfen zu lernen …

Die Einreiseregelung nach UK für Nicht Briten auf „Pleasure crafts“ ist etwas unbequem: Reisepass und Anmeldung (pleasure craft report) per App oder Online Formular bei der Zollbehörde (HMRC) sind zwingend erforderlich. Mit Eintritt in die 12 Meilen Zone ist die gelbe Flagge „Q“ zu setzen. Das Schiff darf nach der Einreise erst verlassen werden, wenn eine ausdrückliche Genehmigung der Grenzbehörde vorliegt. Zuwiderhandlung kann mit Strafe belegt werden. So weit, so klar.

Das Absetzen des „pleasure craft report“ per App klappt problemlos und die Eingangsbestätigung ist auch sofort da. Bin gespannt, ob das faktische Einreisen nachher auch so problemlos klappt.

Nach dem Ablegen gegen 1500 Uhr tuckere ich die ersten beiden Stunden nach NW bis sich langsam tatsächlich wie vorhergesagt ein leichter SW einstellt, der zum Abend auf 10 – 12 kn geht und die ganze Nacht durchsteht.

Der Berufsschiffsverkehr konzentriert sich auf den kürzesten Weg zwischen den Verkehrstrennungs­gebieten und ist schnell passiert. Einzig einige Fischerboote nerven, weil sie häufig und unerwartet den Kurs ändern und Aufmerksamkeit fordern.

Ansonsten ist es ein wunderbares Segeln durch die mondlose Nacht mit Groß und Fock. Der Sternenhimmel ist unbeschreiblich und von unten schimmert das Meeresleuchten, es ist zum Niederknien. Das einzig Unheimliche sind etwa auf der Hälfte der Strecke Radarechos in nicht allzu großer Entfernung, denen ich weder Positionslichter noch AIS Signale zuordnen kann. Da sie sich teilweise schnell bewegen, vermute ich, dass es sich um RIB’s handelt, vermutlich (hoffentlich) britische Marine oder Zoll. Oder doch Schmuggler? Mit Eintritt in die 12 Meilen Zone im Morgengrauen melde ich mich via VHF bei Falmouth Coastguard an. Am Vormittag gegen 09:00 Uhr laufe ich in Falmouth ein.

Es ist wirklich erstaunlich: es liegen hunderte von Booten an den Moorings oder auch vor Anker im Fluß und im Vergleich dazu gibt es nur sehr wenige Plätze in den relativ kleinen Marinas. Ich würde das Verhältnis 10 : 1 schätzen. Aufgrund des für die nächsten Tage angesagten Ostwindes werde ich 2 Tage hier verbringen müssen und entscheide mich deshalb für die Pendennis Marina, weil sie nah zur Stadt liegt und ausreichend Tiefgang verspricht. Ich habe Glück und bekomme über Funk einen Platz. Die Marinas sind voll hier und purer Luxus wie ich später beim Bezahlen feststelle. Als Faustformel: in Deutschland zahlt man in einer gut ausgestatteten Marina pro Nacht für ein 12 m Schiff zwischen 20 – 30 €, in West-Frankreich 30 – 40 € und in Cornwall 40 – 50 £.

Ich schlafe erstmal eine Runde und gehe dann im „Chain Locker“ eine Portion Fish&Chips essen, was zwar einen eklatanten Verstoß gegen die britischen Einreisevorschriften darstellt, jetzt aber wirklich dringend sein muss. Der Chain Locker ist ein cooles Restaurant mit schöner Terasse und Hafenblick (und vor allem einem köstlichen Pale Ale), den mir in L’Aber Wrac’h freundliche Segler empfohlen hatten.

Danach versuche ich herauszufinden, wo und wie man die Einreisegenehmigung durch die Grenzbehörde bekommen kann. Es ist weit und breit kein Zoll oder Grenzschutz zu sehen. In der App werden einige Telefon Nummern aufgeführt. Als ich endlich nach vielen Versuchen jemanden erreiche, erklärt mir der Mensch sehr freundlich, dass seine Behörde nicht zuständig sei und er auch nicht wisse, warum seine Telefon Nummer in der App stehe. Er kann mir aber immerhin die Nummer der zuständigen Grenzbehörde in Plymouth geben. Dort erreiche ich erst am nächsten Tag jemanden, der sich immerhin für zuständig erklärt und meinen per App eingereichten Einreise Antrag sogar in seinem System findet. Als ich frage, ob ich mit diesem Anruf nun die offizielle Genehmigung zur Einreise hätte und das Schiff verlassen dürfe, meint er ja, das sei im Prinzip der Fall, sofern er mich nicht in den nächsten Minuten zurückrufen würde. Schon ein ziemlich jeckes Verfahren mit einem erstaunlichen Maß an Verbindlichkeit. Aber gut, wir sind ja auch im Land von Monty Python …

Gleich gegenüber lockt das National Maritime Museum: hier werden u. a. das Dinghi und andere Teile vom Schiffbruch der Familie Robertson gezeigt, die 1971 im Pazific ihr Schiff durch einen Orca Angriff (!) verloren und 37 Tage mit 3 Erwachsenen und 3 Kindern in einer Rettungsinsel und einem Dinghi überlebt haben, bis sie durch japanische Fischer gerettet wurden: wirklich eine unglaubliche Geschichte Shipwrecked: nightmare in the Pacific | Family | The Guardian . Ansonsten werden viele Einzelstücke gezeigt und die Piraterie im 16. – 18. Jahrhundert steht ziemlich im Mittelpunkt, aber eher reißerisch aufgemacht und an Kinder und Jugendliche adressiert.

Falmouth – Plymouth, ca. 60 nm, ca. 11 h

Die 2. Nacht in Falmouth wird sehr unruhig, denn gegen 3 Uhr morgens beginnt der stark zunehmende Ostwind einen unangenehmen Schwell an den Steg zu schicken, der noch dazu von den Kaimauern chaotisch reflektiert und verstärkt wird.

Laut Wettervorhersage soll der Wind bei ca. 13 kn morgens gegen 11:00 Uhr südlicher werden und ab ca. 13:00 Uhr dann fast auf Süd und runter auf 10 kn gehen. Abends soll er auf SW drehen und weiter abschwächen. Der Gezeitenstrom kentert am Leuchtturm Start Point kurz nach 24:00 von Ost auf West setzend. Mein Plan ist es noch vor Mitternacht das Kap bei Start Point zu runden (Distanz von Falmouth ca. 60 nm) und danach für einige Stunden in Lee hinter dem Huk von Start Point zu ankern und gegen 06:00 morgens weiter zu segeln um dann Portland Bill (Distanz ca. 40 nm) vor 12:00 Uhr mit Nordost setzenden Strom zu runden und nach Weymouth zu gehen.  

Es kommt jedoch anders als geplant. Schon beim Ablegen gegen 10:00 Uhr ist klar, dass der Wind schon im geschützten Bereich des Fal River entgegen der Vorhersage mit 5 – 6 Beaufort aus ziemlich genau Ost kommt. Doppelt gerefftes Groß und nur halb ausgerollte Fock sind dann im Küstenbereich schon mehr als genug Segelfläche, um das Schiff mit 7 kn auf die See zu jagen. Auf See also 6 – 7 Beaufort. Wirklich hartes Segeln und mit zunächst 150 Grad auch nicht der Kurs, den ich eigentlich laufen wollte. Dazu eine kräftige See und schwere Schauerböen. Soll ich umkehren? Aber für die nächsten Tage ist wirklich schweres Wetter aus West angesagt. Also weiter.

Ich kann unter diesen Bedingung nur langsam Richtung Osten aufkreuzen in der Hoffnung, dass der Wind – wie vorhergesagt – abnehmen und Richtung Süd drehen wird. Nach 4 mühsamen Stunden des Aufkreuzens, in denen ich nicht mehr als 12 nm nach Osten gutgemacht hatte, beginnt der Wind endlich etwas moderater und südlicher zu werden. Ich kann die Fock ganz ausrollen und zunächst ca. 70, dann auch 90 Grad anliegen und jetzt geht es flott Richtung Osten. Beim Ausrollen der Fock fällt mir auf, dass das Vorliek unterhalb der Führungsschiene geringfügig durchhängt, ich schenke dem aber erstmal keine Beachtung.

Nach 2 h flotter Fahrt Richtung Osten, wird der Wind erst schwächer, so dass ich das Reff aus dem Groß nehmen kann und geht dann aber runter auf 8 kn, so dass der Wind nicht mehr ausreicht, um das Schiff mit mehr als 3 – 4 kn durch den Schwell zu bringen. Also Maschine dazu. Gegen 18:00 dann dreht der  Wind zurück auf ESE, so dass ich nur Kurs auf Plymouth anliegen kann. Meinen Zeitplan gegen Mitternacht das Kap bei Start Point zu runden kann ich so natürlich vergessen.

Also Planänderung: Plymouth anlaufen und am folgenden Morgen ganz früh wieder starten um Start Point gegen Mittag zu runden und dann wenigstens bis nach Dartmouth oder Brixton zu gehen. Weymouth ist morgen nicht mehr zu erreichen, weil ab dem Nachmittag des Folgetages Starkwind und für die darauffolgenden Tage Sturm angesagt ist.

Im Sund von Plymouth klemmt die Fock beim Einrollen plötzlich. Mit etwas Ruckeln kommt sie zwar wieder in Gang, aber mir wird klar, dass etwas nicht stimmt. Moorings und Ankerplätze außerhalb sind mir bei dem SE Wind alle zu unruhig, also laufe ich erstmal die nächstliegende Mill Bay Marina an.

Am Liegeplatz rolle ich die Fock nochmal aus um festzustellen, wo es hakt und ob es ein Problem gibt. Und tatsächlich: sie lässt sich nur mit kräftigem Geruckel aus- und wieder Einrollen. Auch lässt sie sich nicht herunterlassen, irgend etwas klemmt oben im Mast. Definitiv kein Zustand, den ich unterwegs bei ungünstigen Umständen haben möchte.

Am nächsten Morgen sehe ich, dass sich das Fallführungsauge verabschiedet hat und die resultierende Lose des Falls sich um die Führungsschiene gedreht hat. Mir ist klar, dass ich das machen lassen muss. Ich recherchiere und finde mit „Hemisphere Rigging Services“ einen Rigg Service, der mir vielversprechend erscheint. Ich rufe an, schildere mein Problem und man verspricht mir einen Rückruf. Und tatsächlich nach einer halben Stunde bekomme ich einen Termin um noch am selben Tag, mit dem Schiff nach Plymouth Haven Marina zu kommen und dort den Schaden zu checken und ggf. zu reparieren.

Und exakt zum Termin erscheint ein Team von 2 sehr freundlichen und jungen Riggern, von denen einer nach kurzer Klärung in den Mast entert und ein neues Fallführungsauge montiert, während die Kollegin ihn mit dem Fall auf der Winsch sichert. Es ist wirklich unglaublich: der Kollege entert tatsächlich mit Händen und Füßen und aus eigener Kraft in den Mast. Werkzeug lässt er sich natürlich in einem Beutel hochziehen. Diese Art des freihändigen Aufenterns habe ich bisher nur einmal in der Bretagne gesehen bei einer jungen Trainingscrew, die das aber eher als Jux oder sportliche Angeberei gemacht haben. Hier ist das professionelle Arbeit. In Deutschland undenkbar. Alles zusammen dauert weniger als einer Stunde. Die Rechnung beträgt 105 £, ich kann es fast nicht glauben und mein Glück kaum fassen.  

Der Wind frischt im Laufe des Tages immer mehr auf. Ich verbringe 2 weitere Tage in Plymouth während ein Sturm mit bis zu 9 Beaufort durchgeht. Die Zeit vergeht schnell, es gibt neben den Sir Francis Drake Denkmälern einiges zu besichtigen in dem sehenswerten Städtchen u. a. eine Gin Destillerie und das Mayflower Museum. Ausserdem liegt der originalgetreue und segelfähige Nachbau einer spanischen Galeone an der Barbican Pier, die ebenfalls besichtigt werden kann. Einzig die kurze Überfahrt von Mount Batten nach Plymouth Hafen ist für mich etwas gewöhnungsbedürftig, die Locals verziehen auch bei 9 Beaufort keine Miene 

<Video Überfahrt>  

Obwohl kein direkter Schwell in den Hafen steht, ist doch unterschwellig eine kräftige Bewegung im Wasser, die das Schiff ziemlich massiv in den Leinen arbeiten lässt, was den Aufenthalt nicht wirklich komfortabel macht. Ich freue mich darauf, morgen weiter zu segeln.

Plymouth – Cowes, ca. 129 nm, ca. 21 h

Ich verlasse die Mount Batten Marina früh am Morgen bei völliger Flaute. Aber schon jenseits des gewaltigen Wellenbrechers, der den Plymouth Sound schützt, frischt der Wind auf und kommt mit 4 – 5 Beaufort querab von Steuerbord. Das ist auch gut, denn es steht noch mächtig alter Schwell vom Sturm in den Tagen zuvor, da hilft Winddruck in den Segeln. Es geht flott voran und schon gegen Mittag passiere ich mit mitlaufendem Strom und teilweise über 8 kn über Grund die Einfahrt nach Salcombe vor einer malerischen Landschaftskulisse. Ich bedaure, dass mir die Zeit fehlt, über die Barre in den Fluss zu fahren und dort etwas Zeit zu verbringen. Aber ich muss jetzt Strecke machen, weil ich am 28. September wieder zu Hause sein muss und das Schiff bis dahin so weit wie möglich gebracht haben will.

Jetzt liegt die Lyme Bay vor mir und der Strom wird noch bis ca. 1500 Uhr mitlaufen, danach wird er mir bis ca. 2200 Uhr entgegenlaufen. Ich halte deshalb ca. 10 nm Abstand von Portland Bill, um dem dort bis zu 3,5 kn starken Gegenstrom zu entgehen. Am Nachmittag sehe ich einen fast kreisrunden, weiß schäumenden Bereich voraus im Wasser, über dem aufgeregt Möven kreisen und sich immer wieder herabstürzen. Beim näher kommen sehe ich auch, dass immer wieder ziemlich große Fische halb aus dem Wasser springen, aber bei weitem nicht so hoch und elegant wie Delphine: ich vermute, dass hier Thunfische einen Fischschwarm jagen und die Möven sich beteiligen. Schönes Schauspiel. Gegen 2000 Uhr passiere ich Portland Bill, gegen 0100 Uhr Anvil Point und gegen 0300 passiere ich die Needles und laufe in den Solent ein. Leider ist es so stockdunkel, dass ich die Needles noch nicht einmal erahnen kann, sehr schade. Kurz vor der Einfahrt nach Cowes kommt mir ein riesiger Containerfrachter entgegen, der vor mir schwungvoll in die Southampton Waters einbiegt. Gegen 0530 Uhr mache ich in Cowes Yacht Haven fest.

Ich genieße den Tag im britischen Segelmekka, alles ist hier auf Segelregatten ausgerichtet und es sind die beeindruckendsten Yachten zu sehen. Die Marina Preise sind natürlich schwindelerregend. Es gibt eine Menge interessanter Shops und Restaurants, abends teilweise mit Livemusik und das Bummeln macht Spaß hier. Man findet auch einige Denkmäler und Plaketten, die an die heftigen Luftangriffe der Deutschen im 2. Weltkrieg erinnern. Das muss in dieser Gegend wohl zeitweise doch ziemlich heftig gewesen sein.

Cowes – Ramsgate, ca. 135 nm, ca. 25 h

Der folgende Morgen beginnt sonnig, aber schwachwindig, so dass ich die ersten Stunden unter Groß und ausgebaumter Fock nur langsam voran komme.

Gegen 1100 Uhr erreiche ich die gewaltige ehemalige Verteidigungsanlage „No Man’s Land“ südöstlich von Portsmouth, ein wahres Monster, 60 m im Durchmesser und 20 m hoch: No Man’s Land Fort – Wikipedia . Es geht weiter nur langsam voran, erst gegen 1400 Uhr, südlich von „The Looe“ legt der Wind endlich zu und es geht mit raumen Wind und 6 – 7 Kn voran.

Gegen Abend passiere ich einen riesigen Windpark und lauf dann parallel zum Verkehrstrennungsgebiet Ärmelkanal Richtung Osten. Gegen 2130 Uhr sehe ich südlich von Beachy Head eine deutsche Segelyacht auf dem AIS, die einige Meilen nördlich sehr nah unter Land einen parallelen Kurs läuft. Obwohl ich inzwischen aufgrund des stetig zunehmenden Windes die Fock geborgen habe und nur noch unter gerefften Groß laufe, kann ich das Tempo gut mithalten. Nach dem Passieren von Beachy Head kommen wir uns langsam näher und später kann ich auch ihre Positionslichter ausmachen.

Screenshot TimeZero Navigator mit AIS und Radar Bild (im gelben Kreis die andere Yacht)

In Höhe Eastbourne kentert der Gezeitenstrom und es wird ziemlich bumpy. Es ist jetzt ca. 0200 Uhr morgens. Die andere Yacht behält ihren Kurs bei, während ich etwas noch Norden drehe um parallel zur Küste und außerhalb des Verkehrstrennungsgebietes zu bleiben. Die andere Yacht kommt immer näher und kreuzt bald meinen Kurs mit wenigen hundert Metern Abstand und geht im spitzen Winkel weiter auf das Verkehrstrennungsgebiet zu. Ich frage mich, welchen Vorteil das bringen soll und ob der Skipper weiß, was er da tut oder ob er vielleicht sogar eingeschlafen ist und der Autopilot einfach nur stur weiter den eingestellten Kurs segelt.

Als die Yacht nur noch wenige hundert Meter vom hier wirklich stark befahrenen Verkehrstrennungsgebiet entfernt ist, kann ich nicht mehr tatenlos zusehen und funke sie mehrfach via DSC an. Keine Reaktion, der Kurs geht weiterhin im spitzen Winkel direkt auf einen großen Frachter zu, der eingereiht zwischen anderen hier seine Bahn zieht. Das kommt mir jetzt wirklich komisch vor, ich rufe die Coast Guard an und mache sie auf die Situation aufmerksam.

Auf den Anruf der Coast Guard auf Kanal 16 reagiert die Yacht dann doch und eine weibliche Stimme bestätigt leicht pampig die Absicht, das Verkehrstrennungsgebiet im spitzen Winkel Richtung Frankreich queren zu wollen. Die Coast Guard warnt und kündigt an, die Situation weiter zu beobachten. Im Nachhinein ist es mir etwas peinlich die andere Yacht „verpetzt“ zu haben, aber das Verhalten war einfach so ungewöhnlich, dass ich mir Sorgen gemacht habe und nicht untätig zusehen wollte.

Der raume Wind hat jetzt auf 6 – 7 Beaufort zugenommen und ich bin froh, nur unter gerefftem Groß unterwegs zu sein. Gegen 0630 Uhr passiere ich Dover bei immer noch mitlaufendem Gezeitenstrom und es beginnt langsam hell zu werden. Gegen 0830 Uhr steuere ich in die flachen Gewässer vor Ramsgate und laufe auf den Hafen zu. Ich melde mich vorschriftsmäßig via VHF an und bitte darum unter Segeln in den Vorhafen einlaufen zu dürfen, damit ich die Segel nicht draußen in der ruppigen See runternehmen muss. Ich bekomme die Erlaubnis und rausche mit 7 kn auf die Einfahrt zu, wobei ich etwa 30 Grad vorhalten muss, um keine Hundekurve zu laufen. Der Stromversatz und die Welle vor der Einfahrt sind beeindruckend.

Im Vorhafen nehme ich das Groß runter und laufe in den inneren Hafen ein. Die Einfahrt lässt den Schwell fast ungehindert in den Hafen laufen: Yachten und Steganlagen tanzen heftig auf und ab. Gar nicht so einfach bei so einem Schwell einhand anzulegen. Klappt aber problemlos und nach der Anmeldung beim Hafenmeister kann ich mir erstmal ein paar Stunden Schlaf gönnen. Es gibt noch ein weiteres Hafenbecken, das geschützt hinter einer Schleuse liegt, aber da ich morgen früh gleich weiter will, nehme ich den Schwell in Kauf.

Am Nachmittag stromere ich durch die Stadt. Die interessante Bebauung der Steilküste gibt seeseitig eine schöne Fassade ab. Es gibt viele Restaurants und Bars, auch eine Art Kurhaus direkt am Hafen. Die Innenstadt dahinter wirkt jedoch etwas heruntergekommen. Es gibt zwar das ein oder andere nette Pub, aber nicht wenige Läden stehen mit verrammelten Fenstern leer.

Die Stadt gibt sich ein bisschen als Seebad, der Hafen selbst scheint keine größere Bedeutung mehr zu haben, in den beiden Marinas hier liegen Yachten, und daneben ein paar wenige Fischer und Zubringer für die Windparks und Ölplattformen.

Ramsgate – Lowestoft, ca. 77 nm, ca. 15 h

Ursprünglich war der Plan von Ramsgate quer über die Nordsee nach Scheveningen zu gehen, ein Trip von etwa 120 nm im Zickzack durch die kompliziert gelegenen Verkehrstrennungsgebiete und Windparks der südlichen Nordsee. Der Wind kommt weiterhin aus Süd, hat aber gegenüber gestern stark nachgelassen auf 2 – 3 Beaufort. Das würde bedeuten mit knapp 5 kn unter Maschine zu laufen, bis der Wind in der kommenden Nacht vielleicht wieder zulegt. Ich würde vermutlich erst am Vormittag ankommen und das Schiff in Scheveningen lassen müssen während ich für eine knappe Woche zurück nach Berlin muss. Keine schöne Aussicht, zumal Scheveningen eine der teuersten Marinas an der holländischen Nordseeküste ist. Also beschließe ich die schon vorgedachte Alternative zu realisieren, nämlich auf der englischen Seite nach Norden bis Lowestoft zu gehen und am nächsten Morgen dann über die Nordsee gleich bis nach Den Helder und das Schiff dann dort zu lassen.

Ich starte von Ramgsate gegen 07:00 Uhr und habe mitlaufenden Gezeitenstrom für die nächsten Stunden. Gegen 09:00 Uhr geht der Wind auf um die 10 kn und ich setze das Groß und baume die Fock aus. Der Winddruck ist jedoch schwach und kreuz und quer laufender Schwell lassen die Segel immer wieder schlagen. Schließlich entscheide ich mich den Bora zu setzen, der uns für die nächsten 5-6 Stunden wunderbar Richtung Norden zieht     

Bora Video

Mit beginnender Dämmerung verlässt mich der Wind und für die restlichen beiden Stunden bis Lowestoft muss die Maschine wieder ran. Gegen 2300 Uhr mache ich in Lowestoft im Royal Norfolk & Suffolk Yacht Club fest, ein kleiner Yachthafen, in einem Seitenbecken gut geschützt direkt neben dem Fahrwasser mit einem beeindruckenden Clubhaus inkl. Restaurant und Sanitäranlagen. Leider treffe ich um diese Zeit niemanden mehr an und komme so nicht in den Genuss dieser Annehmlichkeiten. Der eigentliche Hafen wird scheinbar überwiegend von Zubringern genutzt, weder Fischer noch Frachter sind zu sehen.

Lowestoft – Den Helder, ca. 125 nm, ca. 20 h

Am nächsten Morgen geht es gegen 0700 Uhr los, den Gezeitenstrom muss ich auf dem Kurs nach Den Helder nicht beachten, da er von der Seite kommt. Ich mache ziemlich schnell das 2. Reff ins Groß, der Wind geht gut in die 6 Beaufort und bringt mich schnell voran. Die erste Hälfte der Strecke ist unkompliziert, aber ab dem frühen Nachmittag muss ich mich zwischen Verkehrstrennungs­gebieten, Tiefwasserrouten und Wildparks hindurch winden, zum Glück immer von einem kräftigen Halben oder raumen Wind vorangetrieben. Auf der holländischen Seite ist der Schiffsverkehr erheblich dichter, denn hier bündeln sich zwei Schifffahrtswege. Der Wind lässt ganz langsam nach, reicht aber doch um das Schiff bis zum Eingang des Schulpengats nach Den Helder zu schieben. Die letzten Meilen geht es dann unter Maschine gegen das ablaufende Wasser. Gegen 0300 in der Früh mache ich im Koninklijke Marine Jacht Club fest.

Den Helder ist die Marine Basis der Niederlande, überall sieht man junge Leute auf den unterschiedlichsten Schiffen und Fahrzeugen beim Training. Große Kriegs- und Versorgungsschiffe liegen und fahren hier ein und aus und es gibt ein wirklich riesiges Marine- und Seefahrtsmuseum mit einer Unzahl an Schiffen aus allen Epochen und Funktionen im Außenbereich.

Die vereinsgeführte Marina ist klein, aber fein, der Hafenmeister sehr freundlich und hilfsbereit, die Sanitäreinrichtungen First Class inkl. kostenloser Waschmaschinen und Trockner Nutzung. Im Vereinshaus gibt es ein kleines, feines Restaurant mit sehr freundlicher Bedienung und einfachen, aber guten Gerichten. Leider muss ich schon früh am nächsten Morgen mit der Bahn für eine Woche zurück nach Hause und kann deshalb hier nicht flanieren und den Ort genießen.

In den Helder kreuzen sich für mich zwei wichtige Pfade: 1975 bin ich hier mit 16 Jahren als Bootsmann auf der Yacht von Bekannten aus unserem Segelverein auf die Nordsee rausgefahren. Damals mit dem Ziel via Cuxhaven – Kielkanal – Klintholm – Sund bis nach Anholt im Kattegat zu segeln. Und heute bin ich – fast 50 Jahre später- hier in Den Helder als Skipper meiner eigenen Yacht auf dem Rückweg von Frankreich und England.

Den Helder – Cuxhaven, ca. 186 nm, ca. 29 h

Eine Woche später komme ich zurück zum Schiff und plane gleich am nächsten Morgen bei Slack Water zu starten und die ca. 180 nm bis Cuxhaven in ca. 36 h nonstop durchzusegeln. Der Wind ist südwestlich mit bis zu 26 kn, in Böen bis zu 30kn, angesagt, was eine anstrengende, aber auch schnelle Passage verspricht. Ich plane die Route so, dass ich am Mittag des folgenden Tages mit auflaufendem Wasser elbaufwärts nach Cuxhaven laufen kann.

Vom nach Südwesten gehenden Hauptfahrwasser vor Den Helder, dem Marsdiep, geht vor der Südwestseite von Texel ein schmales Fahrwasser nach NW ab, das Molengat, welches ich gerne nutzen würde, da es mir sicher 2-3 h auf der Strecke nach Cuxhaven erspart. Da ich im Reeds von veränderlichen Tiefen gelesen habe, frage ich abends im Vereinslokal einen holländischen Segler, ob die Passage mit 2 m Tiefgang problemlos möglich ist. Er bestätigt das im Prinzip, spricht aber von möglichen Grundseen, die bei länger anhaltenden, starken westlichen Winden auftreten und rät mir am nächsten Morgen nochmal den Hafenmeister zu fragen, der stets bestens über die Situation im Molengat informiert sein soll. Der Hafenmeister rekapituliert am nächsten Morgen nochmal die Wettersituation der vergangenen Tage und kommt zu dem Schluss, dass keine Grundseen zu erwarten sind. Ich beschließe, es zu wagen mit dem Gedanken, dass ich im schlimmsten Fall ja auch wieder umkehren kann.

Ich starte am späten Vormittag. Das Wasser läuft noch etwas auf und ich kreuze mit einem Reff im Groß westwärts Richtung Molengat. Die Passage ist unproblematisch, das Fahrwasser gut betont und der noch moderate Südwestwind schiebt kräftig mit. Am Nordausgang keine Grundseen, aber der Wind wird nun so kräftig, dass ich vorsichtshalber ein 2. Reff ins Groß bringe. Es geht mit 6-7 kn durchs Wasser gut voran, allerdings über Grund nur mit 4-5 kn, weil mir der Gezeitenstrom für die nächsten Stunden noch entgegenläuft. Der Hydrogenerator summt am Heck und hält die Verbraucherbatterie auf einem guten Stand. Gutes Gefühl.

Mir ist den ganzen Tag schon etwas flau im Magen, die Seekrankheit lauert im Hintergrund. Ich versuche sie durch kleine Snacks, warme Getränke und kurze Powernaps in Schach zu halten. Es gibt auf der Strecke nach Cuxhaven praktisch keinen Schutzhafen, den man ich mit vertretbarem Aufwand und Risiko anlaufen könnte. Im äußersten Notfall könnte ich auf halber Strecke in der Nacht Borkum anlaufen, allerdings ohne eine Chance am nächsten Tag gegen den kräftigen Südwestwind wieder zurück auf die Strecke zu kommen. Ausserdem würde mir nachts gegen 0300 bei Einfahrt in die Emsmündung der Gezeitenstrom entgegen laufen, so dass ich bei 7 Beaufort mit einer Wind gegen Strom Situation rechnen müsste. Ein klares no go.

Am frühen Nachmittag kommt eine polnische 15 m Bavaria aus dem Fahrwasser zwischen Vlieland und Terschelling heraus und läuft in nicht allzu großer Entfernung parallel zu mir Richtung Nordosten. Genau innerhalb meiner Guard Zone, so dass ich nervigen Daueralarm habe. Ich rolle die Fock ein, in der Hoffnung etwas langsamer zu werden und so Abstand zu gewinnen, aber da der Wind immer weiter zunimmt, geht es auch nur unter doppelt gerefftem Groß immer schneller wieder Richtung Rumpfgeschwindigkeit. Die Bavaria fährt einen ziemlichen Zickzackkurs, mal mit und mal ohne Fock. Schließlich liege ich am späten Abend stabil ca. 1 nm voraus und kann die Guard Zone entsprechend einrichten, so dass wieder Ruhe einkehrt. Der Wind geht immer wieder über die 30 kn und die See ist mit um die 3 m ruppig und hoch. Mit achterlichem Wind unter doppelt gerefftem Groß und Autopilot ist das aber gut machbar. Ich muss dringend schlafen, um meinen Magen zu stabilisieren und das nervige Schwächegefühl loszuwerden.

Es gelingt mir im Laufe der Nacht den ein oder anderen 30 Minuten Nap zu nehmen und meine körperliche Fitness stabilisiert sich. Zwischendurch regnet es immer wieder und der Wind bleibt stabil auf 7 Beaufort. Gegen 0300 Uhr kreuzt vor der Emsmündung eine ganze Reihe von sehr schnellen Schiffen meinen Kurs, ich vermute es handelt sich um Zubringer, die vom nahen Windpark Richtung Festland streben. Ansonsten gibt sehr wenige Schiffsbegegnungen, so dass ich zwischendurch immer mal wieder kurz ausruhen kann. Ich passiere die endlose Reihe der ostfriesischen Inseln und gegen 0900 Uhr erreiche ich die Wesermündung. Hier ist wieder reger Schiffs- und Funkverkehr. Auch meine polnischen Freunde bekommen einen Anruf von Elbe Weser Traffic.

Sehr viel Raum ist hier nicht in der ITZ, nur etwa 5 nm zwischen Verkehrstrennungsgebiet und den flacheren Küstenbereichen. Auf unter 10 m Wassertiefe sollte man bei diesen Verhältnissen keinesfalls gehen. Gegen 1100 Uhr gerate ich vor der Alten Weser Mündung kurz auf einen Ausläufer der Nordergründe, wo der Grund auf unter 10 m ansteigt. Das Wellenbild ändert sich schlagartig: die Wellen gehen jetzt 4 – 4,5 m hoch und werden sehr viel steiler. Es ist nur eine Frage von Minuten, bis das Schiff querschlagen wird. Ich ändere sofort den Kurs um 30 Grad nach Norden, um schnell wieder in tieferes Wasser zu gelangen, wo die See dann auch gleich wieder moderater wird. Die polnische Yacht hinter mir läuft noch weiter landeinwärts und hält sogar den Kurs auf dem Flach noch etwas länger, bis sie die Gefahr bemerken und es mir nachtun und aus der Gefahrenzone laufen.

Gegen Mittag erreiche ich Scharhörnriff, hinter dem ich mir Schutz erhoffe vor der ruppigen See und ein ruhigeres Segeln. Zwischen dem Riff und dem Verkehrstrennungsgebiet ist nur eine halbe Meile Platz, das ist wirklich sehr knapp, besonders weil mir ausgerechnet hier jetzt ein Frachter entgegen kommt: knapp ausserhalb des Verkehrstrennungebietes und auf der „grünen“, also falschen Seite des Fahrwassers. Der Raum zwischen Frachter und Fahrwassertonnen ist zu knapp für eine Passage, weil es dort sehr schnell gefährlich flach wird, ich muss ihn also auf der falschen Seite passieren (grün zu grün). Ich versuche vergeblich ihn über Funk zu erreichen, um die Passage abzustimmen. Unschöne Aufregung, aber es geht alles gut und dann bin ich auch schon in Lee des Scharhörnriffs und die See beruhigt sich langsam.

Nun geht es die nächsten Stunden mit auflaufendem Wasser die Elbe hinauf, begleitet von lebhaftem Schiffsverkehr. Der Wind ist immer noch so stark, dass ich allein mit dem doppelt gerefften Groß weiterhin gut vorankomme. Als ich im Landschutz von Cuxhaven den Autopiloten ausschalte, um das Groß runter zu nehmen, stelle ich fest, dass sich das Ruder bei ausgeschalteten Autopilot nicht mehr bewegen lässt. Schock: Der Linearmotor scheint im ausgeschalteten Zustand zu blockieren und das kurz vor der Hafeneinfahrt im Gezeitenstrom. Zum Glück gibt es hier wenigstens keine grobe See mehr. Ich entkopple den Antriebskolben vom Quadranten und kann das Schiff wieder problemlos von Hand steuern. Puh, das ist noch mal gut gegangen.

Gegen 0300 Uhr am Nachmittag mache ich im Hafen der Segler-Vereinigung Cuxhaven fest und bin froh, dass ich es geschafft habe. 186 nm in 29 h mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 6.5 kn. Ich bin – trotz des Malheurs mit dem Autopiloten – sehr zufrieden mit dem Schiff und der gesamten Technik. Nur das anhaltende Schwäche- und Übelkeitsgefühl unterwegs hat mich sehr genervt. Ich führe es zurück auf den überhasteten Aufbruch gestern. Ein Tag Eingewöhnung vor dem Start wäre sicher besser gewesen. Aber wie so oft war dazu mal wieder keiner Zeit, weil die Wettervorhersage für die folgenden Tage ungünstig war und der Zeitplan zu straff.

Hier kommt die bisher schönste Segelreise meines Seglerlebens zum Ende. Bis in die Ostsee zum Winterliegeplatz ist es jetzt nur noch ein Katzensprung. Nein, ich bin nicht bis nach Spanien und Portugal gesegelt, sondern nur bis in die nördliche französische Biscaya. Und das Schiff bleibt nicht irgendwo im Süden den Winter über im Wasser, sondern ich bin zurück in heimischen Gewässern. Einerseits fällt es mir wirklich schwer, den Süden als Ziel loszulassen, aber andererseits bin ich auch froh über die Aussicht, das Schiff im Winter in erreichbarer Nähe zu haben und in Ruhe all die Reparaturen und Verbesserungen durchführen zu können, die ich schon wieder auf meiner Liste habe. Und es gibt so viele schöne Ziele, die ich in den nächsten Jahren von heimischen Gewässern aus ansteuern kann, vielleicht auch noch mal in den Süden, wer weiß. Die Träume werden mir nicht ausgehen.

Nachbetrachtung:

Was ich auf herausfordernden Seetörns immer noch schwierig finde, ist die richtige Balance zwischen beharrlicher Zielverfolgung und blindwütiger „Kopf durch die Wand“ Sturheit zu finden. Man muss einerseits schon eine ziemliche Energie und Beharrlichkeit aufbringen, um einhand einen längeren Törn unter herausfordernden Bedingungen zu Ende zu bringen. Dabei ist andererseits schnell die Grenze zur blinden Sturheit überschritten, ohne dass man es gleich merkt. Dann besteht die Gefahr, dass man Risiken ausblendet und die eigenen Ressourcen überschätzt. Wenn es hart wird, ist es nicht immer ganz einfach, die eigene Einschätzung der Situation immer wieder neu zu justieren, ohne dabei zu verzagen oder oder sich in eine unrealistische Euphorie hineinzusteigern.

Und ich muss mich unterwegs immer wieder dazu anhalten, die Kontrolle über kleine und kleinste Fehlerquellen und Risiken zu behalten. Mir geht es oft so, dass ich – quasi aus den Augenwinkeln – etwas registriere, dass ich richten muss und dabei denke: das merke ich mir und mache es nachher noch. Nur ist nachher schon wieder so viel anderes dringlich, dass ich es doch oft vergesse. Nun ist es nicht selten so, dass ein kleiner Fehler auf See eine Kette von Folgewirkungen auslösen kann, die dann am Ende zu einem Desaster führen können. Insofern versuche ich mich an die eiserne Regel zu halten: alles, was ich sehe, mache ich sofort oder schreibe es wenigstens auf die Arbeitsliste. Auch wenn das zu einer manchmal ärgerlichen Verzögerung führt: am Ende zahlt es sich auf See als gute Vorbereitung aus.

Und man kann gar nicht genug Zeit haben. Gerade wenn man das Schiff und die Crew nicht prügeln will, sondern sich nach den Wetter- und Seebedingungen richten will, um eine möglichst angenehme Passage zu haben, sollte man jeglichen äußeren Termindruck nach Möglichkeit vermeiden.


2 Responses to Von der Bretagne zurück an die Ostsee

  1. Jochen sagt:

    Toller Bericht mit viel nützlichen Infos, danke. Da ich eine ähnliche Tour ab Mai 24 vorhabe kann ich die Informationen gut gebrauchen. Mal gucken ob ich es bis Galizien schaffe. Grüße Jochen

    • Calypsoskipper sagt:

      Hi Jochen, danke für dein Feedback. Ich wünsche dir einen schönen Törn und kann sowohl die Bretagne als auch die südenglische Küste nur wärmstens empfehlen. Falls du an einem Gedanken und Erfahrungsaustausch interessiert bist, melde dich gerne. Viele Grüße. Alex

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.